Der Wildwuchs in der Systemlandschaft
Sehen Sie den Wald vor lauter Bäumen nicht? Oder verirren sich Ihre Gäste gar darin? Moderne Technik bietet dem Hotel eine breite Palette an Möglichkeiten, doch auch die Gefahr ein undurchdringliches Dickicht zu werden.Welche Systeme braucht mein Hotel wirklich, und wie vermeide ich Chaos in der Technik? Dieser Artikel zeigt, wie Sie Ihre Systemlandschaft planen, effizient einsetzen und optimal vernetzen – ohne Zeit und Geld zu verschwenden. (Abstrakt: ChatGPT)
Der Begriff „Systemlandschaft“ kommt ja nicht von irgendwo, und ich finde ihn bezeichnender als „Systemarchitektur“ – dies meint oft dasselbe, aber auch die technische Hardware, was mitunter zu Verwechslungen führt. Die folgenschwerste ist wohl die, die zur Delegierung der Verantwortung für die „Systemarchitektur“ einschließlich der gesamten hotelspezifischen Anwenderprogramme an die IT führt. Im Prinzip gilt für Hardware wie Software die selbe Herangehensweise, aber es bleiben zwei verschiedene Disziplinen.
Eine kultivierte Landschaft benötigt im besten Fall einen Landschaftsarchitekten, der sie liebevoll aber effizient plant. Einen Landschaftsgärtner, der die sorgsam pflegt. Und einen Bewirtschafter, der nachhaltig daraus die Früchte zieht. Denken Sie an einen Weingarten: Zu viele verschiedene Sorten und Lagen können, obwohl es hochwertigste Reben sind, den Erfolg verderben wenn der Weingarten keine effiziente Bewirtschaftung ermöglicht.
Effizienz prüfen
Unabhängige Hoteliers verwenden selten umfangreiche RFP Formulare – „request for proposals“ (dt. Ausschreibungen) sollen allerdings nicht nur verschiedene Anbieter zur Angebotslegung auffordern, sondern im Sinne der Effizienz auch möglichst genaue Spezifikationen übermitteln. Erstens hilft es dem Anbieter dabei, an Bieterverfahren nur dann teilzunehmen, wenn sie auch die passende Lösung haben – und damit dem Anfragenden schon einmal die Vorauswahl zu erleichtern, indem keine halben Sachen den Posteingang überfluten. Zweitens können damit schon technische Kompatibilitäten geprüft werden, und eventuell zusätzlichen Investitionsbedarf (im Fall von Hotelsoftware können das die IT Infrastruktur, aber auch beispielsweise Zutrittssysteme sein) für den Kunden erkennbar machen. Drittens schafft es eine Basis für die weitere Kommunikation, wenn Bedürfnisse aber auch Einschränkungen nach Prioritäten geordnet für beide Seiten klar sind. Dies erleichtert bereits den Prozess der Angebotseinholung und vermeidet ineffizienten Zeiteinsatz auf beiden Seiten.
Ein unterschätzter Vorteil des standardisierten RFP ist aber, dass er dem Kunden einen Leitfaden bietet, anhand dessen er sich mit dem geringstmöglichen Zeitaufwand zuerst ein Bild der Ausgangslage machen und danach seine individuellen Ziele planen kann, sowie Alternativen und zusätzliche Optionen überlegen. Frühzeitig kann festgestellt werden welche Informationen einzuholen sind, damit diese Versäumnisse nicht später den Prozess ins Stocken bringen – nicht erst einmal wurden wertvolle Termine verschoben weil Ressourcen nicht verfügbar, Prüfzertifikate abgelaufen oder ganz einfach Personen nicht greifbar waren.
Hier geht es mir aber vor allem um die Frage, welche Lösungen überhaupt eingesetzt werden sollen. Nur weil eine Lösung gut ist, bedeutet das nicht automatisch dass sie auch effizient in der individuellen Umgebung funktionieren kann. Die Gefahr des „Wildwuchses“ nämlich verkehrt die postulierten Vorteile vieler Lösungen ins Gegenteil: Zu viele „gute“ Anwendungen verschaffen dem Team nicht mehr Zeit für Gäste, sondern kosten Zeit für den Wartungsaufwand. Oder sie kosten Gäste, die von schlecht gewarteten oder nicht funktionierenden Systemen abgeschreckt werden.
Effizienzprüfung #1: Welche Prozesse möchte ich überhaupt einführen oder automatisieren?
Effizienzprüfung #2: Welche Komponenten kann ich sinnvoll einsetzen, passend zu meinem Team, meinem Betrieb, meinen Zielgruppen?
Effizienzprüfung #3: Wie weit können diese Komponenten miteinander vernetzt werden, oder gibt es eine Lösung die alle gewünschten Funktionen in einer Anwendung bietet?
Effizienzprüfung #4: Habe ich die Ressourcen um diese Lösung nicht nur vollständig zu konfigurieren und täglich aktuell zu halten, sondern auch deren Funktionsumfang vollständig auszunutzen?
Zwänge hinterfragen
„Weil es der Nachbar hat“ oder „Weil man mit der Zeit gehen muss“ sind Motive für die Anschaffung mitunter teurer technischer und digitaler Hilfsmittel, die unter dem objektiven Blick des Betriebswirten schnell weniger einleuchtend scheinen als gestern Abend beim Cocktailempfang. Auch der Dauerbrenner künstliche Intelligenz, die wir bekanntlich „schnellstmöglich auch bei uns implementieren müssen um nicht den Anschluss zu verlieren“ wird uns keine guten Dienst erweisen wenn die Anwendung nicht sorgfältig ausgewählt und auf einen tatsächlich bestehenden Bedarf zugeschnitten ist.
Ein Zitat aus einem kürzlich besuchten Betrieb in meiner Region: „Bei uns muss alles am neuesten Stand der Technik sein. Dann arbeiten wir daran wie wir es hereinverdienen.“ Oder die treffende Aussage einer geschätzten Kollegin: „Hier in der Gegend kauft man grundsätzlich gleich den Porsche unter den Anwendungen.“ Ich verstehe diese Einstellung als Privatperson, die immer gerne die aktuellsten technischen Ausstattungen hat. In meinem Fall weniger als Statussymbol als aufgrund der immer beeindruckenderen Funktionen – wobei ich gestehen muss dass ich mich doch nur ungern mit einem iPhone 12 in der Öffentlichkeit sehen lassen würde. Im Sinne profitabler Betriebsführung halte ich es allerdings für fragwürdig, automatisch zum neuesten Gadget, zum größten Paket, zum renommiertesten Hersteller zu greifen, und das sofort.
Vorteile nützen
Das Angebot ist wie eine Blumenwiese – überall locken die schönsten Farben, die süßesten Düfte. Nicht selten mit großen Versprechungen, aber die habe ich schon in „Das süße Versprechen“ (hier) erwähnt. Abgesehen von der Wahl des Anbieters gilt es zuerst auszuwählen, welche Art man in sein Bouquet binden möchte. Schön sind sie alle, die Kunst besteht darin das richtige Arrangement zu finden.
PMS – das Grünzeug: Wenig glamourös, aber unverzichtbar. Das „property management system“ ist der digitale Wandkalender und Rechnungsblock des Hotels. Es dient einzig der Effizienz und ist für jeden Betrieb mit mehr als einer Handvoll Zimmer ein Muss – auch wenn es nicht perfekt ist.
CHM – das Schleierkraut: Das verbindende Element, halb Grün, halb Blume, vernetzt der „channel manager“ in seiner einfachsten Version die im PMS dargestellten vermietbaren Zimmer mit den Portalen auf denen Gäste ihre Buchungen tätigen können. Dasselbe Zimmer kann auf vielen Kanälen angeboten werden, und die Daten einer erfolgten Buchung werden an das PMS übertragen – gleichzeitig wird das erfolgreich verkaufte Zimmer aus allen Kanälen zurückgezogen. Viele aktuelle (cloudbasierte) PMS bieten allerdings bereits eigene Schnittstellen zu den wichtigsten Buchungskanälen und ersparen kleinen Betrieben damit einen eigenen CHM. Andererseits bieten viele CHM mittlerweile erweiterte Funktionen, wie beispielsweise Gutscheinverwaltung, (rudimentäre) Automatisierungen für Gästekommunikation, und eigene Direktbuchungsseiten.
IBE – die Margerite: Im Bestreben, provisionsfreie Buchungen über eigene Websites (oder verschiedene Werbemittel von Handzettel bis Suchmaschine) zu bekommen, wird vermehrt auf die „internet booking engine“ gesetzt. Auch bekannt als „WBE – web booking engine“ ist dieses zarte Pflänzchen quasi der Onlineshop des Hotels. Rabattcodes oder Buchungskennwörter können online nur über eine IBE umgesetzt werden. Reine Anbieter von IBE gibt es kaum mehr, diese Funktion ist mittlerweile in viele PMS und CHM integriert, in Ausprägungen von eher einfach (im PMS) bis hochentwickelt (in den besseren CHM). Eine hoch spezialisierte Lösung mit innovativem Mehrwert sind hyperpersonalisierte Buchungsmaschinen wie von GauVendi, die dem Gast erlauben ein spezifisches Zimmer anhand verschiedener individueller Attribute zu wählen statt sich für eine generische Kategorie entscheiden zu müssen, in der höchsten Stufe sogar mit Preisdifferenzierung je nach subjektiver Gewichtung der Attribute für den Gast.
RMS – die Gloriosa: Die Königsdisziplin der Hotelsoftware, die seit jeher Algorithmen verwendet und das erste Anwendungsgebiet für künstliche Intelligenz in der Hotellerie ist. Wer dynamische Preise verwendet, setzt fast ausnahmslos eine „revenue management software“ ein die Unmengen von Daten analysiert um den richtigen Preis zum richtigen Zeitpunkt zu setzen. Die frühere Art, Voraussagen rein anhand von Vergangenheitsdaten zu treffen, hat mitunter zu beinahe komischen Auswüchsen geführt, um mit den immer dynamischeren Märkten Rechnung zu tragen verschiebt sich der Fokus auf (sofern vorhanden) Nachfragedaten wie Suchanfragen und Flugbuchungen, zumindest aber auf das Muster der aktuellen Buchungseingänge. Diese Entwicklung wurde erst durch künstliche Intelligenz möglich, da die Menge der Datenpunkte die Möglichkeiten reiner Rechenmaschinen übersteigt. Als Halbautomatik oder als Empfehlungsgeber haben diese Anwendungen enormes Potential für die Ertragskraft eines Hotels – können aber auch sinnlose Verschwendung sein wenn es die Kapazität, die Zielgruppe oder der lokale Markt überflüssig machen. Schlimmstenfalls können unkontrolliert wachsende oder schrumpfende Preise aus einem sich selbst überlassenen RMS zu verschnupften Gästen wie Mitarbeitern führen. Wie jedes gute Werkzeug ist ein RMS nur in der Hand eines hingebungsvollen Gärtners optimal effektiv.
POS – die Fresie: Mit „point of sale“ Lösungen wird der gesamte, nicht durch Beherbergung generierte Umsatz verwaltet und großteils auf die im PMS geführten Rechnungen transferiert. Auf der anderen Seite können Annonciersysteme, Tischreservierung und Warenwirtschaftsprogramme angebunden werden für mehr Effizienz (auch durch Automatisierung) und geringere Fehleranfälligkeit. Zumindest im Bereich des Zimmerservice sind Bestellungen direkt über Endgeräte der Gäste eine zeitsparende Erleichterung, digitale Speisekarten am Tisch sind Geschmacksache.
CRM – das Vergissmeinicht: Es bewahrt die wichtigsten Daten Ihrer Gäste – und erinnert daran, dass Automatisierung nicht alles ist. Wie die Blume braucht es Pflege, um nachhaltig Ertrag zu bringen. Unter „customer relationship management“ wird mangels Differenzierung mittlerweile eine Fülle von Funktionen zusammengefasst. Ursprünglich nur für Sammeln und Auswerten von Kundendaten wie Volumen, Nebenausgaben und Präferenzen sowie für die teilautomatisierte Abwicklung von Werbekommunikation bekannt, übernehmen unter dem Überbegriff CRM geführte Lösungen nicht nur den Versand von Buchungsbestätigungen sondern auch digitalen check in und check out, Gastinformationen und (unter Einsatz von chatbots) Anfragen und Interaktionen vor Ort. Diese Systeme ermöglichen den Betrieb von Beherbergungsangeboten mit minimalem Personalaufwand, exemplarisch stehen Ferienwohnungen dafür – aber auch die Kosten für Marketingagenturen lassen sich senken wenn ein CRM Vorgänge automatisiert. Ein gut gepflegtes und vernetztes CRM ermöglicht größtmögliche Personalisierung und liefert Einblicke über die Basisdaten einer Zimmerbuchung hinaus um seine Zielgruppe besser verstehen zu lernen, und Angebote damit profitabler gestalten zu können. Automatisierung enthebt den Betrieb aber nicht von der Verpflichtung, über die Einhaltung der gesetzlichen Bedingungen konstant zu wachen, und sollte möglichst nicht zu einem repetitive Einheitsbrei in der Direktwerbung führen – zwei Beispiele dazu ebenfalls in „Das süße Versprechen“ (verlinkt). Will man nicht den Aufwand betreiben, anhand der Gästedatenanalyse möglichst individuelle Kommunikation zu betreiben, ist weniger oft mehr.
Der Vollständigkeit halber müssen Zahlungsdienste erwähnt werden, diese sind aber per se nicht branchenspezifisch. Abgesehen davon hat sich für diese noch kein Akronym eingebürgert, das würde also die angestrebte Form der Auflistung stören 🙂 Einige PMS und POS haben exklusive oder optionale eigene Zahlungsdienste integriert, es empfiehlt sich diese zu nutzen anstatt die Systemlandschaft um einen zusätzlichen Anbieter zu erweitern. CHM, IBE und CRM bieten üblicherweise standardmäßig Schnittstellen zu den meisten Zahlungsdiensten, dies ist aber unbedingt im Vorhinein abzuklären (idealerweise bereits im RFP).
Ein bislang weniger präsenter Bereich sind Berichtswesen und Controlling, hier finden sich noch die meisten „Eigenzüchtungen“ auf Basis bekannter Office-Anwendungen. Unter BI für „business intelligence“ zusammengefasst müssen diese aber bis zum nächsten Artikel warten – zu groß wäre für mich als begeisterten Zahlenflüsterer die Versuchung den Rahmen damit zu sprengen. Schreiben Sie mir gerne wenn Sie nach einer Lösung suchen, es sind kürzlich spannende neue Lösungen auf den Markt gekommen!
Individuell entscheiden
Wie bei einem gelungenen Blumenarrangement zählt auch in Ihrer Systemlandschaft das Zusammenspiel. Wählen Sie nur, was wirklich zu Ihrem Betrieb passt – und denken Sie daran: Selbst die schönste Blume braucht Pflege. Je größer der Strauß, desto höher die Anforderungen an spezialisiertes Anwenderwissen und zeitliche Ressourcen. Selbst wenn eine Gesamtlösung aus einer Hand alle Funktionen abdeckt die Ihr Betrieb benötigt bedarf jede Funktion der Planung und Wartung. Ganz besonders gilt das für Analyse, in die Sammlung von Daten zu investieren die niemand analysieren will wäre wie eine Sprinkleranlage am Parkplatz.
Profitipp: Sie wissen es zwar, aber tun Sie es auch wirklich? Spielen Sie den Gast im eigenen Haus – vom Auffinden eines Angebots über den Buchungsvorgang bis zum (hoffentlich digitalen) check in und check out. Bitten Sie eine Bekanntschaft dasselbe zu tun, und spielen Sie dabei den Praktikanten der von Ihrer Reservierung und Rezeption angelernt wird. Tun Sie das jedes Jahr, jede Saison, und am besten für jedes neue Angebot das Sie verkaufen wollen – um die „user experience“ zu optimieren ist das die ultimative Qualitätskontrolle.
Ein Beispiel aus der Praxis: Wildwuchs „auf Substral“
Lassen Sie mich Ihnen eine wahre Geschichte erzählen… Ein Betrieb entschied sich vor einem Jahr, seine „alte“, serverbasierte Software durch eine neue, cloudbasierte Version desselben Anbieters zu ersetzen. Dazu kamen weitere Anwendungen Dritter, die angeblich den Workflow optimieren sollten. Die Realität sah anders aus.
Das Ergebnis: Keine der neuen Lösungen erfüllte die erhofften Funktionen vollständig. Niemand im Betrieb war ausreichend geschult, um die Systeme korrekt einzurichten, geschweige denn zu nutzen. Die Probleme begannen mit grundlegenden Trainingsdefiziten und endeten bei Online-Gutscheinen, die ausschließlich telefonisch eingelöst werden konnten – zu Bürozeiten, versteht sich.
Nach unzähligen Arbeitsstunden, immensem Stress und erheblichen Kosten stand fest: Eine einfache Erweiterung der alten Lösung hätte genügt. Mit einer gezielten Planung und einer klaren Zieldefinition hätte man den Wildwuchs vermeiden können – und locker noch Budget für eine zeitgemäße Gutscheinlösung, beispielsweise vom heimischen Anbieter incert (verlinkt), übrig gehabt. Doch so blieb am Ende nicht nur die Funktionalität auf der Strecke, sondern auch die Motivation der Beteiligten.